Ein neues Zuhause zum Winterfest – Teil 2: Heimatlos Abschnitt 3

Nachdem sie sich und das Pferd gestärkt hatte, sah sie es an. Es wieherte und schnaubte, der Gaul freute sich über seine Mahlzeit. Sanft strich sie ihm über die Stirn. »Wie nenne ich dich?«, flüsterte sie in sein Ohr und überlegte. Der Gaul war heruntergekommen, aber trotzdem schnell. Sie entschied sich für Loscha, was in ihrer Sprache Pferd bedeutete.
Sie ging ein weiteres Mal in die Stadt. Um zu übernachten, brauchte sie etwas Geld, sie seufzte.
Talma lief zurück zur Ladenstraße. Sie sah den Weg entlang und beobachtete die Leute dort. Dann sah sie zu den verschiedenen Ständen. Langsam ging sie weiter. Aus der Ferne hörte sie Musik. Einige der Menschen sahen sie missmutig und mit gerunzelter Stirn an. Vor einem Laden mit Kleidung stand der Verkäufer. Sie ging auf ihn zu. »Arbeit suche?«, sagte sie. Er schüttelte den Kopf. »Geh weiter, ich brauch keinen, du greifst mir nur in die Kasse und bestiehlst mich.« Fragend sah sie ihn an. »Zieh weiter«, forderte er sie auf und wedelte mit der Hand.
Sie zog die Straße weiter entlang. In einem Schaufenster lagen Ketten, Ringe und Diademe aus Gold und Silber. Aus welchen funkelten Diamanten, aus anderen grüne, rote und blaue Edelsteine. In einen Ring war ein runder schwarzer Stein eingearbeitet. Sie sah nach oben, eine Frau, die hinter dem Tresen stand, bediente einen Mann. Sie ging weiter. In dem Schaufenster eines anderen Ladens lagen Käseräder in verschiedenen Größen. Auf Tellern standen Stücke, wie Kuchen. Blaue Adern zogen sich durch die weiße Masse. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Auf einem anderen Teller stand ein gelbes Stück mit Löchern durchbohrt, als wohnten dort drinnen Würmer.
Durch das Glas sah sie eine Frau mit einer weißen Haube, die sie anlächelte und ihr zunickte. Talma betrat das Geschäft.
»Hallo, womit kann ich dir helfen?« Die Besitzerin trat vor die Theke. Talma sah sie fragend an. »Ich helfen?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein Liebes, womit kann ich dir helfen?« Sie zeigte mit ihrem Finger auf die Volpure.
»Suche Arbeit, kann tragen.« Mit einer Geste deutete Talma auf die Käseräder im Schaufenster. Die Frau begann zu lachen. »Liebes Kind, du verstehst doch nicht mal unsere Sprache und der Laden wirft gerade genug für mich ab
Talma sah die Frau fragend an. Sie schüttelte den Kopf. »Keine Arbeit.« Mit gesenktem Kopf verließ sie das Geschäft.
Sie lief weiter. Die Musik der Drehorgel kam immer näher. Sie nickte dazu und grinste. An einer Ecke wurde das Lied von Fiepen und Pfeifen übertönt. Talma zuckte zusammen und kniff die Augen zu. Ein Mädchen versuchte, auf einer Flöte ein paar Töne zu spielen. Ein Junge in bunter Kleidung tanzte dazu. Davor stand eine Schale, in der ein paar Münzen lagen. Die Volpure vermutete, dass die Leute aus Mitleid, Geld hineinwarfen.
Sie kam zu dem Platz, an dem die Drehorgel stand. Ein Mann dahinter drehte an einer Kurbel, darauf bewegte sich ein Porzellan-Affe im Kreis, der auf seinem Kopf eine blau-weiße Kappe trug, über der er die Hände verschränkt hatte. Um die Hüfte trug er ein grün-rot gestreiftes Kleid. Talma sah den Mann an, der sie anlächelte. »Hallo du«, sagte er und bat sie mit der Linken zu sich. »Warum schaust du so traurig?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Suche Geld.«
Der Mann fing an zu lachen. »Das suche ich auch. Kannst du tanzen?«, fragte er.
Sie sah ihn fragend an.
»Tanzen?« Er unterbrach sein Spiel und ging um die Orgel herum. »Tanzen«, wiederholte er und bewegte seine Füße.
Sie nickte und stellte sich daneben. Er ging hinter sein Instrument und begann zu spielen. Die Musik erklang, Talma begann zu tanzen. Ihre Füße begannen zu brennen. Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Dabei entspannte sie ihre Glieder. Der Schmerz verflüchtigte sich, wie sie sich langsam in Trance versetzte.
Talma drehte sich im Kreis, klatschte dazu und sang ein Lied aus ihrer Heimat. Ein paar Leute gesellten sich dazu und klatschten.
»Kommt, tanzt mit«, rief der Orgelspieler. Ein Mann schnappte seine Frau und sie tanzten mit ihnen. Es kamen weitere Leute, um sich das Spektakel anzusehen. Die Schale füllte sich in kurzer Zeit mit goldenen, silbernen und kupfernen Münzen.
Während Talma tanzte, streichelte der Wind sanft über ihre Wangen und zog durch das Fell. Sie drehte sich und sprang von einer Stelle zur anderen. Dazu lachte sie und klatschte. Dann griffen die Menschen nach ihren Armen und bildeten einen Kreis. Sie liefen darin, dann ließen sie einander los und drehten sich um die eigene Achse. Als sie mit dem Rücken zur Mitte standen, klatschten sie in die Hände und sprangen auf. Sie drehten sich wieder um, fassten sich einander an und gingen zur Mitte. Dann liefen sie wieder nach außen, drehten sich zur Seite und fasten sich gegenseitig an die Schultern. Talma wurde warm und ihre Knie weich. Sie atmete schwerer. Trotzdem lachte sie mit den Leuten und genoss die Stimmung.
Zum Schluss drehten sich die Tänzer zur Mitte und verbeugten einander. Alle deuteten mit den Händen auf Talma und klatschten. Auch die Zuschauer setzten mit ein. Ein paar Leute pfiffen. Die Augen der Volpure wurden feucht, sie spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken kroch. Jedes Haar ihres Fells richtete sich auf. Nach einer Weile trat auch der Orgelspieler hervor und klatschte ihr zu.
»Wie heißt du?«, fragte er. Sie sah ihn stirnrunzelnd an.
»Du, Name? Ich Gerhard.« Er zeigte mit den Händen auf sich. Sie nickte. »Talma.«
Dann zeigte der Mann auf sie mit der Handfläche. »Talma, die tanzende Volpure«, rief er zur Menge. Alle schrien auf und klatschten. In der Schale hatte sich ein Geldberg gebildet. Weitere Münzen, die die Leute darauf warfen, purzelten klirrend herunter und landeten neben dem Hügel, im Schnee. In Gerhards Augen bildeten sich Tränen, wie er das sah.
Nachdem sich die Massen auflösten, trat Gerhard zu ihr und schüttelte den Kopf. »So viel Geld habe ich noch nicht eingenommen«, sagte er. »Du bleibst nicht zufällig in der Stadt?« Sie sah ihn wieder fragend an. Er schüttelte den Kopf und holte tief Luft. »Du solltest unsere Sprache lernen
»Kann bisschen.«
»Dann willst du mich nicht verstehen?«, lachte er. »Bleib doch hier und tanz für mich. Komm morgen her und wir machen weiter
Sie nickte.
Gerhard beugte sich zu der Schale herunter und nahm sie vorsichtig in beide Hände, um sie auf die Orgel zu tragen. Dabei fielen einige Münzen herunter. Talma bückte sich danach und las eine nach der anderen auf. Sie wollte sie auf die Orgel legen, Gerhard schüttelte aber den Kopf. »Kannst du behalten«, sagte er. Sie sah ihn mit großen runden Augen an. »Steck ein.« Er steckte eine Münze in seine Tasche. Sie nahm die Münzen und wollte sie ebenfalls in seine Hosentasche stecken. Gerhard lachte laut auf. »Nein!!«, rief er. »Du!«
Sie nickte und steckte die Münzen vorsichtig ein. Als sie sein Lachen sah, verstand sie.
Er sortierte weitere Münzen aus und gab ihr eine Handvoll Gold- und Silberstücke.
Sie schüttelte den Kopf. »Kann nicht«, sagte sie. Er nickte. »Doch, das hast du dir verdient
Zögerlich griff sie danach.
»Weißt du, wo du die Nacht bleibst?«, fragte er.
Sie zuckte mit der Schulter.
»Schlafen.« Er machte eine Geste und hielt sich die Handflächen auf die Wangen.
Sie sah hinter sich und schüttelte den Kopf. »Noch nicht habe.«
»Komm mit«, forderte er sie auf. »Ich kann dir helfen und der Wirt spricht auch deine Sprache.« Er zwinkerte ihr zu. Dann packten sie zusammen und gingen durch die Straßen. Hinter den Häusern verschwand langsam die Sonne und der Abend dämmerte rein. Während Gerhard seinen Kasten am Griff schob, erzählten sie ein wenig, von dem Talma nicht viel verstand.
An einer Taverne blieben sie stehen. Gerhard hievte sein Zeug die Treppe hinauf, die zum Eingang führte. Talma griff nach dem Instrument. »Du bist ein gutes Mädchen«, sagte er. Talma nickte nur. »Du verstehst nicht oder?«
Sie verstand zwar nicht, was er genau sagte, spürte aber, dass er es gut meinte. Zusammen betraten sie die Taverne.
»Fred, ich brauche heute eines meiner Zimmer«, rief er, als sie den Schankraum betraten. Ein Mann, der hinter der Theke Biergläser befüllte, kam sofort zum Eingang und nickte. »Kannst du haben.«
»Das ist Talma, sie versteht nicht viel, kann aber Tanzen und packt mit an! Gib ihr gut zu essen und zu trinken, sie soll morgen noch mal bei mir auftreten.«
Der Wirt begrüßte sie mit einem Nicken. »Das soll sie haben«, sagte er in der Allgemeinsprache. Dann sah er Talma an. »Such dir einen Platz, ich bringe dir was zu trinken und zu essen«, sagte er in ihrer Sprache.
Gerhard kramte in seiner Tasche und holte weitere Münzen heraus. »Reicht das für Essen und Trinken?«, fragte er.
»Ihr habt doch keine Bank ausgeraubt oder?« Der Wirt zwinkerte ihm zu.
Gerhard schüttelte den Kopf. »Nein, aber sie tanzt wie ein junger Gott. So viel Geld mache ich sonst den ganzen Monat nicht. Am Liebsten würde ich sie behalten. Die Leute waren wie die verrückten«, lachte er.
Fred nickte. »Ich habe von Gästen gehört, dass sich in der Schilling-Straße Leute versammelt haben und tanzen. Hätte aber nie gedacht, dass du es bist. Aber von der Volpure solltest du trotzdem die Finger lassen.« Er zwinkerte ihm zu.
»Was hast du denn gedacht?«, lachte Gerhard, dann verließ er die Taverne.

Nachdem Talma gegessen und getrunken hatte, verließ sie die Schenke und ging zu Loscha. Sie band ihn vom Gatter ab und führte ihn zu den Ställen. Einer der Burschen sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Was willst du?«, fragte er.
Sie hielt ihn den Strick vor die Nase. »Pferd hierbleiben, Futter und schlafen.«
»Das kostet Geld«, sagte er. »So, wie du aussiehst, scheinst du dir das nicht leisten zu können.« Er schüttelte den Kopf.
Sie kramte in ihrer Tasche, es klapperte und klimperte. Neugierig sah der Junge sie an. Dann holte sie eine goldene und eine silberne Münze heraus.
»Reicht?«
Er sah sie skeptisch an. »Eine Goldene noch.« Sie holte noch eine Goldmünze heraus, dann nahm er den Hengst. »Schlaf gut«, flüsterte sie in sein Ohr. Das Pferd wieherte. Dann brachte der Bursche ihn in eine der Buchten und grinste.

Am nächsten Morgen wachte Talma in ihrem Zimmer auf, die Sonne schien hinein. Das Bett war ungewohnt weich, sie träumte von ihrem Bau, durch den sie tanzte. Eine Orgel spielte dazu. Nur langsam richtete sie sich auf. Ihre Füße schmerzten, die Knie waren weich. Sie hoffte, dass sie noch mal so tanzen könnte.

+++

Talma blieb noch zwei weitere Tage in der Stadt. Jeden Tag kamen die Leute, um zu tanzen. Am nächsten waren es sogar mehr als am ersten. Schnell wuchs der Berg mit Münzen an, viele landeten im Schnee. Am letzten Tag brach die Volpure vor Schmerzen zusammen. »Muss aufhören«, sagte sie zu Gerhard und setzte sich neben die Orgel auf einen Schemel. Die Menschen tanzten aber weiter.
»Warum bleibst du nicht hier?«, fragte Gerhard. »Du könntest dich ein paar Tage ausruhen und dann weiter für mich tanzen, wenn du wieder gesund bist. So würdest du auch ein schönes Sümmchen Geld verdienen.« Er zwinkerte ihr zu.
Sie senkte den Kopf. »Muss weiter«, sagte sie. Ihr Blick verschwamm hinter einen Schleier.
»Warum? Wohin willst du
»Westen. Suche Freund«, sagte sie.
»Freund
»Wollte nach Neunbuchen, wurden bei Flucht getrennt.«
Er nickte. »Jetzt verstehe ich. Ich glaube aber ohne dich werden morgen nicht noch mal so viele Leute kommen. Aber, du hast es dir verdient.« Er nickte ihr zu und verabschiedete sich. »Komm gut dahin, wo du hin willst, und finde deinen Freund.« Er rieb sich mit seinem Ärmel die Augen. Sie hielt ihn die Tatze am Arm und nickte. Dann ging sie in die Taverne.

Am nächsten Morgen, nach dem sie gegessen hatte, ging sie zurück in die Schilling-Straße und schaute nach Gerhard. Wieder hatten sich dort viele Leute versammelt und tanzten. Er schaute kurz auf und sah zu ihr. Sie winkten einander zu. Dann ging sie zu den Ställen der Stadt, holte Loscha ab, den sie jeden Abend besuchte, und ritt mit ihm weiter nach Westen.


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