Es war der 22. Juni. Ein freundlicher warmer Sommertag.
Ich ging zum Schindelhaus, um ein Bier im Biergarten zu trinken. Da kam auch schon Janine mit einem Bier in der Hand zu mir. Sie brachte mir mittlerweile mein Bier, ohne mich zu fragen, was ich möchte. Sie wusste, dass ich das Schindelhaus – Bräu trinke. Wir unterhielten uns kurz über Gott und die Welt. So, wie jedes Mal, wenn ich hier bin. Dann ging sie hinein. Erst da stellte ich fest, dass ich der Einzige Gaste war. Seltsam, dachte ich. Dann ertönte hinter mit dieses Klingeln.
Krrrt. Krrt.
Ich sah mich um. Sah zu der roten Telefonzelle, die dort schon seit Ewigkeiten stand. Es konnte nicht sein. Das Telefon war nicht angeschlossen.
Dann wieder. »Krrrt. Krrrt.
Ich schüttelte den Kopf. Fragte mich, wer mich verarschen will. Das Telefon klingelte weiter. Krrrt. Krrrt.
Mein Inneres sagte, ich sollte aufstehen und danach gucken. So begutachtete ich die Zelle. Das Kabel konnte ich nicht entdecken. Ich ging hinein, grinste vor mir her. Dachte immer noch, dass mir da jemand einen Streich spielen. Ich nahm fragend den Hörer in die Hand, hielt ihn ans Ohr.
Da ertönte dieser Rhythmus.
Dummdumdumdummdumm.
… The phone rings, in the middle of the night
My father yells, »What you gonna do with your life?«
Oh daddy dear, you know you’re still number one
But girls, they wanna have fun
Oh girls just wanna have.
Dale Bozzio. Wir waren keine Girls, aber wir hatten Fun. Doch was passierte hier? Dann hörte die Musik auf. Ich hörte diesen Atem. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Ich spürte, wie sich jedes meiner Haare aufrichtete. Dann die Stimme:
»Karschti? Karschti, bist du das?«, ich hörte seine Stimme. Das konnte nicht sein. Nein, das konnte nicht sein. Ich schüttelte den Kopf. »Enrico? Enrico, bist du das?«, begann ich nervös in den Hörer zu sprechen. »Was soll das? Du bist doch ….« Es verschlug mir die Stimme. »Wir haben dich doch am Samstag ….« Meine Augen wurden glasig. Tränen rannen mir die Wange herunter.
»Ja, das habt ihr«, sprach Enrico weiter.
»Hast du uns alle verarscht?«, begann ich mich aufzureden. »Hast du das alles inszeniert? Deine Schwester, deine Eltern, deine Frau und auch ihre Tochter waren da. Was hast du getan?«
»Nichts, bleib ruhig«, fingst du wieder mit deiner ruhigen Art zu erzählen. Die Art, die ich immer an dir mochte.
»Ich weiß nicht, ob du mir es glaubst. Doch das ist alles wahr. Ich habe nichts inszeniert, doch hier gibt es ein Telefon. Ich kann darüber mit euch Kontakt aufnehmen. Mit dir.« Ich schluckte.
»Mit mir?«, fragte ich.
»Ja. Ich habe nicht viel Zeit. Bestell Cynthia, meinen Eltern und den Rest liebe Grüße. Sag, dass es mir gut geht. Sag, dass ich sie lieb habe.«
Stille kam auf. Ich schluchzte. Nickte.
»Weißt du noch, wie ich dich damals auf dem Schulhof sah?«, fragte ich. »Ich ging zu dir hin und fragte dich, was machst du hier?«
Du sagtest: »Ich habe Berufsschule, lerne Elektriker.«
»So fing es damals an. Ich war immer bei euch in Breitenbach. Wir hatten uns damals schon öfter gesehen. Aber an diesem Tag musste ich dich ansprechen. Ich glaube, ich sollte es tun, sonst hätte ich nie einen Freund, wie dich gefunden. Weißt du noch, wie ich dir gesagt habe, dass ich in Falk verknallt war. Ich musste lachen, während ich den Rotz in meiner Nase nach oben zog. Du lachtest auch. »Das weiß ich«, lachtest du.
»Du hast ihn angerufen und gefragt. Das war vielleicht peinlich. Aber, auch wenn er Nein gesagt hat, ich war froh, dass du es getan hast.
Weißt du noch, wie wir, Doreen, du und ich unseren Geburtstag in der Feuerwehr gefeiert haben? Es war so schön. So viele Leute waren da. Ich weiß, wie wir bei Falk immer im Hühnerstall gesessen haben und dort vorgeklüht haben, und anschließend in die Disco sind. Ich habe immer bei euch pennen können. Ich war sowieso mehr bei euch, als zu Hause. Ich weiß noch, wie wir nach Soltau gefahren sind. Es musste auf jede Kotzbude drauf. Oder, wie du mich immer sonntags abgeholt hast, wir ins Kino gefahren sind und danach noch einen Kaffee trinken gegangen sind. Weißt du noch? Star Wars, Herr der Ringe, James Bond.
Aber irgendwann ist es mit uns verblieben. Trotzdem wusste ich immer noch, was du machst. Wir haben uns jedes Jahr zum Geburtstag gratuliert. Das eine Jahr du mich, das andere Jahr, ich dich. Ich wusste trotzdem immer noch, was du getan hast. Dass du 2017 Alex kennengelernt hast. Dass ihr euch ein Haus gekauft habt, dass es dir gut ging. Doch dann habe ich im Januar erfahren, dass du schwer krank geworden bist. Du. Kojak, mein einst bester Freund. Ich habe Cynthia angeschrieben. Deine Schwester schrieb, dass es wahr ist. Sie gab mir deine Telefonnummer. Wir haben geschrieben. Ich werde es nie vergessen, wie du auf die Hunde meines Bruders Freundin reagiert hast. Ihr hattet auch einen Hund. Das wusste ich. Ich kenne ihn noch. Wir wollten nächstes Jahr zur Walpurgisnacht, ein Bier trinken. Jetzt kannst du nicht, aber bis dahin geht es dir wieder gut. Hast du gesagt. Ich hätte so gern das Bier mit dir getrunken. Ich weiß, ich habe lange nichts von mir hören lassen, was mir leidtut, mein Freund. Du warst damals immer für mich da. Vergessen werde ich dich nicht.
Und jetzt, Samstag? Da waren wir noch mal alle vereint. Martin, Susi, Falk, Mike, deine Schwester und der ganze Rest. Aber du warst nicht da. Trotzdem hast du dich bei uns gemeldet, als die Musik anging und es zu regnen begann. Als plötzlich der Himmel sich zusammen zog und genau in diesem Augenblick ein Grollen in den Wolken zu hören war. Das warst du.
Und jetzt? Jetzt bist du nicht mehr hier. Ich werde am Dienstag auf eine Nachricht von dir warten. Es können mich tausend Leute gratulieren, doch glücklich bin ich erst, wenn du schreibst. Und du wirst nicht schreiben. Doch dafür werde ich dir schreiben, an dich denken. Dich bei mir haben, egal, was ich an diesem Tag mache. Du bist bei mir und wirst es immer bleiben.«
Der Text entstand letztes Jahr im Juni für den Schreibstammtisch. Enrico war einer meiner besten Freunde, wir haben zusammen Geburtstag. Er verstarb am 30. Mai 2023.
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