Tag 4: Westen

48 vom Blattfall IV-1407

In der letzten Nacht sah ich immer wieder den verkohlten Wolf vor meinen Augen. Sogar der Geruch stieg mir in die Nase, wenn ich sie schloss.
Was habe ich getan? Was ist passiert? Tränen rannen mir die Wangen hinab.
»Du hast nichts Schlimmes gemacht«, sagte Eiron am Abend, bevor wir uns hinlegten. »So lange du es nur gegen das Böse anwendest, ist es in Ordnung.«
War es das? Ich drehte mich von einer Seite auf die andere. Der Boden war unbequem, ein Stein stieß mir in den Rücken. Als ich ihn wegmachen wollte, spürte ich, wie die Kälte unter meine Decke kroch.

Wir sind den ganzen Tag durch die Wälder gelaufen.
»Wenn wir uns beeilen, erreichen wir morgen schon die Grenze«, sagten Papa und Eiron.
An einem Tümpel saßen andere Volpuren. Frauen mit Kopftüchern wuschen ihre Sachen darin, Kinder rannten umher und spielten fangen. Sie schienen so unbeschwert zu sein, wie sie lachten und herumsprangen. Asiel flitzte zu ihnen. Männer unterhielten sich. Alle schauten zu uns auf, als wir näher kamen. Einer der Fremden stand auf. »Ich bin Kumar«, stellte er sich vor. »Wir sind eine kleine Gruppe aus Vichtel. Sie haben alles zerstört. Martha«, er zeigte mit dem Finger auf eine Frau, die unweit an einem Baum saß und schluchzte. »Sie haben ihre Kinder vor ihren Augen abgeschlachtet. Sie konnte fliehen.«
Wir stellten und vor und erzählten, was passiert ist.
»Bis jetzt ist alles ruhig. Wer weiß, wo sie sind«, sagte Kumar.
Papa zuckte mit den Schultern. »Wir haben auch seit gestern keinen von ihnen gesehen.«
»Hoffen wir, dass wir in Sicherheit sind«, antwortete der Mann.
Eine Frau, die ernst zu uns hochblickte, schüttelte den Kopf. »Sie warten irgendwo da draußen auf uns. Da bin ich sicher.« Ihre Stimme klang wie die eines Reibeisens.
In meinen Magen tat sich wieder das unwohle Gefühl auf. Sie teilten mit uns ihr Essen und Trinken. Ich lief zu den Kindern und spielte die ganze Zeit mit ihnen.
Dann brachen wir gemeinsam auf.

So zogen wir weiter zapa – Westen.
Papa sagte, dass zapa in ihrer Sprache Westen heißt. Er war schon in den Ländern der Menschen. Sie sprechen eine andere Sprache. Die wichtigsten Wörter kennt er.
Ich fragte mich, wo Westen war. Von Mama wusste ich, es ist da, wo die
soln untergeht. Aber, was wird dort sein? Ich war noch nie so weit von zu Hause weg. Ich fragte mich, wie das wohl da aussieht? Gab es in Westen noch grünere Bäume? Andere Bauten? Ich wusste es nicht. Aber, wir liefen dorthin.
Sie unterhielten sich, was vor 3 Tagen passiert ist. Sie nannten es die krovnot, Blutnacht.
Asiel rannte gemeinsam mit den anderen Kindern voraus. Sie versteckten sich hinter den großen Eichen. »Seid nicht so laut!«, schimpfte die Frau mit der kratzigen Stimme.

Asiel kam plötzlich jammernd zu Mama. Er zeigte auf einen Jungen. »Darek hat mich geschupst.«
Sie nahm ihn in den Arm. »Ich will nach Hause«, winselte er. Maumau schüttelte den Kopf und verzog ihre Schnute. »Das können wir nicht mehr. Unser Zuhause ist verbrannt«, sagte sie. Asiel sah sie fragend an.
»Wir finden bestimmt ein viel schöneres«, sprach Papa.
Wollte ich das? Wollte ich ein neues Zuhause? Ich wäre auch lieber zurückgegangen. Ich wollte gern mit den Puppen spielen oder mit meinen Freunden, Anra und Dahn. Wir haben fangen oder verstecken gespielt. Ich würde gern wieder mit ihnen spielen.
»Wo sind Anra und Dahn«, fragte ich Mama.
Sie machte ein komisches Gesicht. »Sie sind bestimmt auch irgendwo unterwegs. Du triffst sie bestimmt wieder.«
Mit der Zeit taten mir die Füße weh. Papa nahm mich huckepack. »Du bist ganz schön schwer«, sagte er.
»Das Kind kann ja auch selbst laufen«, antwortete die Frau mit ihrer tiefen Stimme. Papa nickte ihr zu.

Ein paar Leute jammerten, dass ihr Füße schmerzten und lieber einen Ort zum Ausruhen suchen.
Papa aber sah zu den Bäumen rauf. An einigen Stellen wurden die Blätter bereits gelb. »Wir müssen uns beeilen, es wird bald Winter. Da brauchen wir eine sichere Unterkunft«, sagte er. Eiron stimme ihm mit einem Nicken zu.
Wir liefen noch ein ganzes Stück. Erst am Abend fanden wir eine Lichtung, zum Übernachten. Wir aßen etwas und unterhielten und mit den anderen. Mama zog ihre Treter aus. Die Sohlen waren durchgelaufen, ihre Füße schauten durch. Das feine Fell war abgeschabt und wunde Stellen lugten hindurch. Auch meine Schuhe waren kaputt.
Papa ging mit Eiron und ein paar anderen Männern auf die Jagd. Mama unterhielt sich mit den Frauen, Asiel spielte mit den Kindern.
»Ozeana, spiel mit!«, forderte er mich auf. Ich konnte aber nicht. Meine Füße taten mir weh. Ich war froh hier, zu sitzen.
Nach einer Weile kamen die Männer zurück. Papa hatte einen Hasen mit grauem Fell in den Händen. Er hatte ihn an den Ohren gepackt. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Auch die anderen hatten Tiere dabei. Die Frauen nahmen sie auseinander.
»Lasst sie uns über einem Feuer braten«, schlug Kumar vor. Papa schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Sie werden es in der Luft wittern und uns finden.«
Mir war es egal, Hauptsache, ich hatte was Leckeres zu essen.
Wir haben uns die Bäuche damit vollgeschlagen. Ich war lange nicht mehr so satt wie diesem Abend.


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